Autor: Daniel
In seinem Artikel auf Netzwertig.de ist Martin Weigert der Auffassung, dass sich die Filmindustrie keine Sorgen machen muss, weil die Auswirkungen der Digitalisierung auf sie nicht so groß sind, wie auf die Musik- und Printbranche. Ich musste bei der Überschrift des Artikels stutzen, denn mir kommt es aufgrund der aktuellen Entscheidungen von Majors wie Warner und Universal, ihren Backkatalog nur noch auf DVD-R auszuwerten, eher so vor, als würde sich die Filmindustrie durchaus Sorgen machen. Zumindest was dieses Segment betrifft kann meine Einschätzung nicht ganz falsch sein, insbesondere wenn man bedenkt, dass Martin Weigert für sein Gegenargument wiederholt das 3D-Kino vorbringt – also das genaue Gegenteil der Backkatalogtitel, bei denen die Majors ins Schwitzen zu geraten scheinen.
So sind schnellere Internetverbindungen und auch die hohe Nutzerzahl (Stichwort Seeder), die den Verkauf physischer Kopien einbrechen lassen, vielleicht doch als Anfang vom Ende zu bezeichnen. Allerdings wohl nur für Filme mit kleinen Zielgruppen, die sich irgendwo am unteren Ende des Long Tail tummeln.
Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass die Filmbranche sich möglichst bald um verbesserte VoD-Angebote bemühen muss, um die Kontrolle über den Long Tail zu behalten. Die folgenden vier Punkte versuchen dies näher zu klären (und orientieren sich dabei an den Argumenten von Martin Weigert).
1. Erlebnis Kinobesuch
Ganz richtig wird in dem Artikel angemerkt, wie wichtig Kinobesuche als soziale Praxis sind, doch zu sagen, dass sich diese über die soziale Komponente hinaus nur noch auf ein visuelles Erlebnis beschränke, ist zu kurz gegriffen. Inhärenter Teil des Kinoerlebnisses ist ja der gesamte Film, der aufregende Erzählungen bietet, diverse, auch ungewöhnliche Erzählstrukturen präsentiert oder uns fremde Kulturen vorstellt. Sie sind eine Kulturleistung die uns abschalten lässt, uns aber genau so gut auch provozieren und aufregen kann.
Diese schwierigen Filme sind es selten, die den Weg ins Kino schaffen, da sie nun mal sehr wenige Besucher anziehen. Wenn man Glück hat, lebt man in einer Großstadt, wo man einen Film wie Love Exposure zu sehen bekommt. Doch wenn man, wie wir hier in Stuttgart, Pech hat, ist man damit konfrontiert, dass das Kommunale Kino schließen musste und man sich auf einen einzigen Art House Betreiber verlassen muss, um Nischenfilme zu sehen. Und selbst in dessen Kinos ist man vor Menschen, die den ganzen Film durchquatschen, nicht sicher, wie ich bei Das weiße Band feststellen musste. Ausweichen kann man dann auf DVDs oder ein VoD-Angebot, das, wie Martin Weigert in einem Kommentar zu seinem Artikel ganz richtig anmerkt, optimaler Weise international ausgerichtet sein sollte. Da zweites hypothetisch ist, bleibt als Onlineangebot nur noch der illegale Download.
2. Begrenztes Angebot
Es ist auch ganz richtig zu sagen, dass Filme ein deutlich knapperes Gut sind, als Musik. Gott sei Dank, könnte man da anmerken, denn angesichts von 115 Jahren Filmgeschichte hat man schon mehr als genug zu sehen. Doch wie in Punkt eins festgestellt, ist das Angebot im Kino leider beschränkt, während es auf DVD und insbesondere in Torrent-Netzwerken immens ist. Hier stellt sich dann auch die Frage, ob angesichts des kleinen Angebots im Kino und der schlechten Aussichten für die physische Kopie das Onlinefeld wirklich denjenigen überlassen werden soll, die mit ihren illegalen Angeboten den Long Tail nutzen. Wäre es nicht auch denkbar, dass die produzierenden Studios oder die Weltvertriebe ihre Filme den Zuschauern direkt zugänglich machen (also ohne darauf zu hoffen, dass sie bei territorial gebundenen Labels Lizenzgebühren kassieren können)?
3. Nutzen-Aufwand-Verhältnis illegaler Downloads
Ja, illegale Downloads von Filmen können den Durchschnittsuser überfordern, doch ist dies in Zeiten von Torrents und der DivX-Unterstützung durch alle Standardplayer immer seltener der Fall. Zudem lässt sich die Frage nach dem Nutzen-Aufwand-Verhältnis leicht beantworten, wenn der Nutzen ein Film ist, der legal gar nicht (oder zumindest nicht in einer verständlichen Sprachfassung) erhältlich ist. Auch hier greift wieder meine Forderung nach einem breiteren Angebot an online legal erhältlichen Filmen die einfach zugänglich sind. Dies würde nicht nur die überforderten Durchschnittsuser anlocken, sondern mit Sicherheit auch diejenigen, die aufgrund der Erhältlichkeit von Filmen bisher in die Illegalität gedrängt worden sind.
4. Großes Entwicklungspotential von Filmen
Wie bereits unter Punkt eins erwähnt ist Film weit aus mehr als nur ein „visueller Leckerbissen“ (vgl. Weigert), aber das von Weigert erwähnte Lechzen ist eine ganz richtige Beobachtung. Wir Filmfans lechzen nach dem Radikalen, dem Schrillen, dem bisher Unbekannten, dem Leisen, dem Langen, dem Anstrengenden, dem Alten, dem Fremden, dem Verstörenden und generell nach allem, was unsere anspruchsvollen, individuellen Geschmäcker befriedigen kann. Das Entwicklungspotential ist vielfältig und es kann auch genutzt werden, indem der Katalog, die Indie-Filme, das Kino jenseits der Hollywoodkonventionen usw. nicht als Problemfall angesehen wird, der den Torrent-Netzwerken überlassen wird, sondern als Content, mit dem sich Geld verdienen lässt. Den richtigen Zugang zu den Zielgruppen vorausgesetzt.
Fazit
Die Chancen, die die digitale Revolution der Filmindustrie bietet, sollten jetzt genutzt werden, denn nur, weil man sich nicht sorgen muss, heißt es noch lange nicht, dass man es nicht auch besser haben könnte. Meine persönliche Vision diesbezüglich sei hier kurz angerissen: Die Rolle der Mediatoren (sprich: DVD-Labels) sollte überdacht werden, damit Filme territorial ungebunden ihr Publikum finden können. Der Mediator würde in diesem Modell dem Nutzer den Weg zu dem Produzenten oder Weltvertrieb weisen, bei dem der Film legal heruntergeladen werden kann und ihm dazu Untertitel in einer für ihn verständlichen Sprache anbieten (den weiteren Details, wie DRM und dem Geschäftsmodell dieses neuen Mediators, werde ich mich hoffentlich in naher Zukunft widmen können).
Bis es allerdings so weit ist, wird man wohl noch lange dabei zusehen müssen, wie DVD-Labels gegen die sinkenden Verkaufszahlen der physischen Kopie anzukämpfen versuchen.