2010/01/26

Filmwinter, dritter Tag

Der dritte Filmwintertag (23.01.) war der längste, allerdings habe ich mir auch eine lange Pause gegönnt, um den vorherigen Artikel zu verfassen.

Für eine Handvoll Familie

Ein Programm mit hauptsächlich narrativen Kurzfilmen, die sich alle um Familienprobleme und Ersatzfamilien drehen.
Pierre DaignièreL’âge adulte (2009): Ein Mann schlendert durch eine Stadt, setzt sich auf eine Bank, sieht ein kleines Mädchen aus einem Restaurant laufen und beschließt, sie zu verfolgen. Im Aufzug eines Wohnblocks unterhalten sie sich, sie sagt, sie habe keinen Vater, doch er bringt nicht den Mut auf zu sagen, wer er ist. Sympathischer Kurzfilm, sehr entspannt und größtenteils aus der Perspektive des Kindes erzählt.
Andrzej KrólBirthday (2008): Ein einsamer Straßenbahnfahrer versucht, sich an die Bruchstücke einer Nacht vor genau einem Jahr zu erinnern. Damals hat er sich betrunken, statt den Geburtstag seines Sohnes zu feiern und nach dem Nach Hause Kommen die Mutter schwer verletzt. Elliptisch erzählt und äußerst schön fotografiert, das Highlight dieses Programms – der Filmriss ist hier Teil der Handlung und der Inszenierung.
Claudia LarcherHeim (2008): In einer konstanten Kreisbewegung werden die digital ineinander geschachtelten Räume eines Wohnhauses erkundet. Eine hypnotische Collage und der einzige experimentelle Film des Programms.
Carolina HellsgårdHunger (2009): Zwei vernachlässigte Brüder schleichen sich in die Nachbarswohnung, deren Bewohner soeben abgeschoben worden sind. Sie können sich die Bäuche vollschlagen und zu Musik tanzen, doch als der Vater sie entdeckt werden sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Fast dokumentarisch mit vielen Naheinstellungen inszeniert, ein weiterer sehr schöner Beitrag.
Gautier AboutFais comme chez toi (2008): Nach einer Party bleiben drei Gäste noch einige Tage beim Gastgeber und fungieren für den schüchternen Mann nach und nach als Ersatzfamilie. Mit dieser ungewohnten Situation kommt er allerdings nicht klar und ist am Ende doch wieder allein. Sieht aus wie eine Seifenoper, ist aber deutlich lustiger.
Melanie McGrawPitstop (2007): Noch ein vernachlässigtes Kind, dieses Mal von seinen Eltern an einer Tankstelle mitten in der Wüste vergessen. Aber die kleine Maggie lernt von der Tankstellebetreiberin, dass sie auch ihren Willen durchsetzen darf und als die Eltern sie wieder holen ist die Familie glücklich vereint. Typisch amerikanische Selbstverwirklichungspropaganda.

Phil Jutzi & Horst Krahé – Bull Arizona, der Wüstenadler (1919)

Als ich im Programmheft gelesen habe, dass dieser Film nur noch als Fragment erhalten ist (52 Minuten von laut imdb ursprünglich 93 Minuten) und dass die meisten der Beteiligten nur wenig Filmerfahrung hatten, war leider klar, dass es sich hier lediglich um eine Kuriosität handelt. Was den Film zumindest für Zuschauer in Baden-Württemberg interessant macht, ist dann eigentlich auch nur der Umstand, dass es sich hier tatsächlich um einen Western handelt, der im Heidelberger Umland gedreht worden ist. Selbst wenn man das vor Beginn der Vorführung ausgeteilte Faksimile des zeitgenössischen Programmheftes durchliest, das die Filmhandlung auf vier DIN A5 Seiten zusammenfasst, versteht man nicht so ganz, was auf der Leinwand passiert. Vielfach liegt das am fehlenden Material, oft aber auch an der Unerfahrenheit des Drehbuchautors und der Regisseure. Immerhin war die musikalische Begleitung sehr gut.

Andy Warhol – Lonesome Cowboys (1968)

Gleich nach der Pause ein weiterer Western, in dem niemand genau weiß, was eigentlich vor sich geht. Hier ist es allerdings Warhols künstlerischer Anspruch, der das Chaos heraufbeschworen hat, und es macht auch wirklich sehr viel Spaß den bekifften New Yorkern dabei zuzugucken, wie sie das Drama um eine auseinanderfallende Gruppe von Revolverhelden und ein von ihnen terrorisiertes Ehepaar improvisieren. So ging es zumindest mir, Uwe, der für die letzten beiden Programmpunkte zu mir gestoßen ist, war wenig begeistert.

Stiefel Kaliber 7

Zum Abschluss des Tages noch ein Programm mit Kurzfilmen, welche die Genderthematik von Lonesome Cowboys wieder aufgreifen.
Cécile MilleSexe 1 (2009): Drei Frauen unterhalten sich auf der Tonspur äußerst explizit über ihre sexuellen Erfahrungen während Männer auf der Straße stehend apathisch in die Kamera blicken.
Owen Eric WoodMade up (2008): Ein Mann erzählt, wie wichtig es ihm ist, dass schwule Männer männlich sind, während auf der Bildebene eine Drag Queen ihr Make-up aufträgt. Der Kontrast ist eine durchaus unterhaltsame Idee, aber als gegen Ende noch Ton und Bild vor- und zurückgespult, verlangsamt und beschleunigt werden, verliert die Idee an Stringenz.
José Martret¡¡¡TODAS!!! (2008): Auf dem Transsexuellenstrich von Madrid hofft David das nötige Geld für eine Geschlechtsumwandlung zu verdienen. Coral arbeitet schon lange in diesem Milieu und sie setzt alles daran, um David zu beschützen, was eines Nachts leider nicht klappt. Ein überdrehter, bunter Film, der sein Thema sehr freizügig angeht und die Freier gekonnt bloßstellt. ¡¡¡TODAS!!! Ist der Hilferuf, den Prostituierte einsetzen, um ihre Kolleginnen zu rufen, und dieser Film ist sowohl all denen Frauen gewidmet, die diesen Ruf haben einsetzen müssen, als auch denen, die geholfen haben. Neben greller Unterhaltung also auch eine wichtige Message, gut gemacht.
Alex Herrera & Javier GómezLa Chica del Km. 141 (2009): In langen, ruhigen Einstellungen wird der trostlose Alltag einer Prostituierten an einer spanischen Schnellstraße gezeigt. Nihilistisch und stark an Bruno Dumont erinnernd, bis auf den kurzen, verwirrenden Traum, in dem eine Frau mit blonder Perücke kurz blau aufflackert.
Dan FaltzWeak Species (2009): Zwei schwule Schüler werden portraitiert, der eine ein selbstverliebtes Arschloch, der andere eine erbärmliche Trantüte. Nachdem der erste gedemütigt und der zweite in einer bizarren Szene verstümmelt worden ist, finden die beiden zusammen. Erniedrigung auf Erniedrigung wird hier gehäuft, aber die Figuren bleiben dem Zuschauer seltsam fremd und der Film lässt einen nur ratlos zurück.